Aus Liebe zum Laufen

Aus Liebe zum Laufen

Dienstag, 17. November 2015

Kompanie, lauft!

Nach einer sechs Wöchigen Laufpause und zwei Monaten ohne Wettkämpfe, freute ich mich wahnsinnig auf den Bonner Herbsthalbmarathon.
Zwar war ich nicht in Topform, aber ich vermisste es. Die vielen Läufer, die Startnummer, die meinen Schokoladen-Bauch versteckt, die Aufregung, der Zieleinlauf, der warme Kuchen danach. Herrlich. Munter packte ich meine Tasche und zählte die Minuten bis Papa mich abholte.
Es ging von Köln nach Bonn. Kein sonderlich weiter Weg und Samstags Früh war erst recht nicht viel auf den Straßen los.
Als wir bei der Sportanlage ankamen, sah ich einen Soldaten mit Warnweste, der uns den Weg wies. Okay, die fahren ja große Geschütze auf, dachte ich. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dieser Lauf von Reservisten veranstaltet wird. Ich stieg aus und platschte mit meinen Laufschuhen in eine Matschpfütze. Die alten Treter waren eh überfällig. Ich schüttelte meine Füße und ging mit Papa zur Startnummernausgabe.
Wir hatten noch nicht eine Stufe getan, da rief der Soldat, der unten am Treppenabsatz saß, schon zu uns herauf :,,Hier! Ausfüllen!" Er schob zwei Formulare in unsere Richtung. Was ein fröhlicher alter Kauz. Ich lachte, wenn auch ein wenig verängstig und ging zügigen Schrittes auf den Tisch zu. Name, Geschlecht, Jahrgang. Das wars. Kein Verein. Kein Geburtsdatum, Keine Adresse. ,,Leserlich schreiben!" Ich sah wie Papa neben mir in Zeitlupe Buchstaben malte. Er zitterte. Ohje, fang bitte nicht an zu weinen.
Wir kicherten, als wir zurück zum Auto gingen und waren erstaunt über die Einfachheit dieser Veranstaltung.
Fünf Minuten vor dem Startschuss, beschloss Papa sich noch schnell einzulaufen. Klar was sonst. Ich wartete und lauschte den Anweisungen des Soldaten mit seinem Megafon. ,,Wenn Sie eine Straße überqueren, laufen Sie nicht vor ein Auto. Wir stehen zwar an der Straße, aber wir halten Sie nicht auf. Wenn Sie kein Schild sehen, laufen sie geradeaus. Die Kilometer sind nicht markiert. Sie laufen solange bis Sie wieder hier ankommen. Wer aussteigt, sagt Bescheid, wir haben keine Lust einen Suchtrupp los zu schicken!"
Keine Ahnung wieso, aber dieser rundliche General, mit seinen viel zu kurzen Armen, war mir sehr sympathisch.
Wir versammelten uns alle am Start und hämmerten auf unsere Laufuhren ein. Manch einer suchte noch nach einem GPS-Signal, da wurde plötzlich ein Schuss abgefeuert. Das Uhrengepiepse verstummte. Die Läufer in der ersten Reihe zuckten. Einer von ihnen fragte verunsichert :,,War das der Startschuss?" Der Soldat brüllte ihn an:,, Das läuft hier nach meiner Uhr!" 
Die Läufer stürmten los. Ich lachte und hörte Papa jetzt schon über die verlorenen Fünf Sekunden schimpfen.
Ich ging es langsam an, weil ich nicht einschätzen konnte wie viel Kraft und Ausdauer ich zur Zeit hatte, also genoss ich die Umgebung und die kühle Morgenluft. Die Strecke führte die meiste Zeit durch den Wald, über Asphalt oder Laubbedeckten Waldboden.
Die ersten drei Kilometer vergingen wie im Flug und ich fand meinen Rhythmus. Die schnellen Läufer vor mir waren längst aus meiner Sichtweite und auch hinter mir hörte ich keine Schritte mehr. Ich war mittlerweile bei Kilometer Vier angekommen und stellte fest, dass ich vollkommen alleine war. Alles was ich sah, waren Bäume und der graue Himmel über ihnen. Alles was ich roch, war feuchtes Laub und alles was ich hörte, war mein Atem und der dumpfe Aufprall meiner Füße. Sonst war da nichts. Erst bekam ich die Sorge, dass ich mich verlaufen hatte. Schließlich war die Strecke nicht mehr als nötig mit winzig kleinen Pfeilen markiert und noch nie hatte ich es erlebt, dass ich keinen Läufer mehr um mich hatte. Doch die Freude auf den Lauf nahm mir meine Sorge. Es war einfach viel zu schön. Ich verlaufe mich jedesmal, wenn ich eine neue Strecke erkundschafte und jedesmal finde ich auch wieder zurück. Also lief ich weiter und hing meinen Gedanken nach. Die Minuten verstrichen, da fuhr ein Soldat auf seinem Fahrrad neben mir her. Ich erschrak :,, Bin ich die Letzte?" Ich begann sichtlich zu schwitzen, doch der Soldat lachte nur und rief :,,Noch lange nicht!" Ganz entspannt zog er von dannen und fuhr die Strecke auf und ab. Ungewöhnlich. Bei Kilometer Sieben sah ich in der Ferne etwas Gelbes leuchten, das sich auf und ab bewegte. Fast so wie ein überdimensionaler Textmarker. Ha! Der Textmarker war ein Läufer! Ich zog das Tempo an und versuchte aufzuschließen. Tatsächlich kam ich ihm näher, da hörte ich hinter mir eine Gruppe von vier weiteren Läufern quatschen. Auch sie hatten beschleunigt und peilten eine Zeit von unter zwei Stunden an. Ich freute mich und ernannte sie heimlich zu meinen Pacemakern. Pro Kilometer liefen sie eine Zeit von 5:08 Minuten. Für vier Kilometer hielt ich mit, doch als sie schneller wurden bremste ich mich wieder, denn schließlich hatte ich noch zehn Kilometer vor mir.
Trotz der schnellen Kilometer ging es mir noch erstaunlich gut. Also bemühte ich mich meine Energie in möglichst große Schritte zu verlagern und gleichmäßig zu atmen. Schließlich wollte ich keine Seitenstiche provozieren. Ab und an kamen kleine Steigungen die ich mit langen Sätzen überwand um ja nicht langsamer zu werden. 
Bei Kilometer 16 sagte mir die Uhr 1:26 Stunden. Ich freute mich sichtlich, denn mein Ziel war es unter zwei Stunden zu bleiben und das würde ich wohl auch locker schaffen. Ich legte einen Zahn zu und fragte mich ob Papa wohl schon im Ziel war. In ein paar Jahren würde ich auch so schnell sein. Ganz sicher.
Nur zwei Kilometer vor dem Ziel stand Papa an der Strecke und schaute sich suchend nach mir um. Sein Blick verriet mir, dass er mich noch nicht erwartet hatte. Er lief mit mir und redete auf mich ein. Ab und zu spürte ich seine Hand in meinem Rücken. Also das mit dem ins Ziel schieben hatte er ein bisschen zu wörtlich genommen!
Papa redete sich den Mund fusselig, doch alles was ich hörte war ein dumpfes Surren. Sorry Papa, aber mein Stirnband war so dicht, ich hörte einfach so gut wie nichts.
Egal was er sagte, ich wusste, er wollte, dass ich beiße. Und das tat ich auch. Meine Beine brannten geradezu und mein Atem wurde schwer. Ich lief dagegen an und zwang jede Faser in meinem Körper alle Reserven rauszurücken. 
Ich lief und lief und sah schon von weitem die Soldaten. Ich rauschte an ihnen vorbei bis jemand ,,Halt!" brüllte. Den dünnen Kreidestrich auf dem nassen Asphalt, der die Ziellinie dar stellen sollte, hatte ich übersehen. Macht nichts. Trotz meiner schlechten Form, verbesserte ich meine Bestzeit um ganze fünf Sekunden.
Der Muskelkater ließ nicht lange auf sich warten. Und noch während meine Beine jammerten, plante ich schon den nächsten Halbmarathon.
Papa und ich holten unsere Urkunden ab und eierten zum Auto, als uns eine junge Frau ansprach:,, Entschuldigen Sie? Wissen Sie, ob hier auch normale Menschen parken dürfen?"
Ich lachte und humpelte davon.

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